Aufklärung im Rückwärtsgang

GBSDie Giordano Bruno Stiftung (GBS) hat sich auf die Fahne geschrieben, Aufklärung und Humanismus im 21. Jahrhundert forcieren zu wollen. Daran gibt es sicher nichts auszusetzen, denn immer noch steckt auch die sogenannte „aufgeklärte Welt“ Hals-tief in irrationalen esoterischen Verhaltensmustern. Aufzuklärendes gibt es mehr als genug. Viele der GBS-Aussagen und -Aktionen waren mir deshalb weitgehend sympathisch und gesinnungsverwandt. Kampagnen wie „Evolutionstag statt Christi Himmelfahrt!“, „Aufklären statt verschleiern!“ oder Proteste gegen die Todesstrafe konnte ich nur goutieren.

Leider ist aber nicht überall Aufklärung drin, wo Aufklärung draufsteht, so dass auch die GBS zuweilen dieser, bzw. zumindest einiger Kritik bedarf. Dass die Stiftung mit letzter nicht besonders umgehen kann, ist schade, sollte sie sich doch besser das seit der Antike gebräuchliche Sprichwort „Amicus Plato, sed magis amica veritas“ zu eigen machen.

Das GBS-Motto „Heidenspass statt Höllenqual“ dient der Aufklärung eben auch nur soweit der Spaß nicht wirklich ins „Heidnische“ abdriftet und die GBS nicht frühzeitig von der Aufklärungsautobahn abbiegt, wie es mehrmals zu beobachten war. GBS2So geschehen, als Michael Schmidt-Salomon beispielsweise bei seinem von der GBS unterstützten religionskritischen Kinderbuch „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“ glaubte, auf berechtigte Kritik von Peter Bierl nicht reagieren zu müssen. Auch wenn das Kinderbuch generell in puncto Religionshinterfragung einen wertvollen Beitrag für kommende Generationen zu leisten im Stande ist, sollte man/frau nicht einer mangelnden Differenzierung zwischen den Religionen zum Opfer fallen und insbesondere dem Judentum durch klischeehaft antisemitische, weil an das Stereotyp jüdischer Kindermörder erinnernde Darstellung Unrecht tun.

Zu Bierls erneuten Vorwürfen im Zusammenhang mit der Verleihung des Ethik-Preises der GBS (2011), u.a. an den australischen Philosophen Peter Singer, in dem Bierl einen Euthanasiepropagandisten sieht und der Protest-Gegenstand vieler Antifaschisten und Behinderten-Verbände war, weil dieser zwischen lebenswerten und lebensunwertem Leben selektiert, nahm die Stiftung sowie ihr Vorstandssprecher zumindest schon mal Stellung. Ein Fortschritt.

Eine weitere Veranstaltung, die eher der Magisierung denn der Aufklärung diente, war der u.a. von der Giordano-Bruno-Stiftung unterstützte dritte Wirtschafts- und Energiekongress „MGS3“, der sich mit den Themen Macht, Geld, Sinn und Energie, und wie diese miteinander verknüpft sind, beschäftigt. Auch GBS-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon soll im März 2013 in Köthen zugegen gewesen sein. Unter den angekündigten „Experten“ aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft befanden sich einige zweifelhafte und bauchtief im strukturellen Antisemitismus watende Referenten. U.a. der Grüne Helmut Creutz aus Aachen, der Mitglied der rechtsextremen Freie Sozialen Union (FSU) war. Die deutsche Partei beruft sich ausdrücklich auf die Lehren Gesells. Außerdem arbeitete er mit den LSI (Lebensschutzinformationen), einem Organ des rechtsextremen Weltbunds zum Schutz des Lebens (WSL) zusammen. Außerdem Margrit Kennedy, die der esoterischen Szene zuzurechnen ist. Sie hat Kontakt zur rechtslastigen esoterischen Sekte Findhorn, und sie tritt bei der sexistisch-autoritären Sekte ZEGG auf. Im Juli 1993 referierte sie im Rahmen der Vorlesungsreihe des Ökofaschisten Rudolf Bahro an der Berliner Humboldt Universität. Die „Köthener-Experten“ diskutieren unter dem Etikett der „Aufklärung“ ernsthaft das Regionalgeld „Lutzetaler“ zur Euro-Rettung.

 Ein weiterer Bärendienst für die Aufklärung ist das Buch des GBS-Vorstandssprechers „Jenseits von Gut und Böse – Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind“. Es legt, bedingt durch eine unzulässige, auf einem Kategorienfehler basierende Deduktion, den Grundstein für die Entschuldung von Naziverbrechen und führt  schnurgerade wieder in eine gefährliche menschenfeindliche Euthanasierechtfertigung. Aus den Libet-Experimenten kann eben nicht abgeleitet werden, dass es keine Willensfreiheit und damit kein Erfordernis von Moral gebe, auch wenn es  neuronale Vorbedingungen für alles Wollen und Tun gibt. „Diejenige Freiheit, die durch keine Hirnforschung widerlegt werden kann, reicht für Verantwortung. Wir knüpfen Verantwortung nicht an einen unbewegten Beweger oder einen nicht-physischen Willen. Wir prüfen, ob jemand denkend Kontrolle über seinen Willen auszuüben vermochte oder nicht. Im ersten Fall schreiben wir Verantwortung zu, im anderen nicht.“, sagt Peter Bieri zu dem Fehlschluss. Die gerade nicht wissenschaftliche Interpretation dieser naturwissenschaftlich-empirischen Gehirnforschungs-Ergebnisse durch den Geisteswissenschaftler Schmidt-Salomon ist surreal und inhuman. Die Organisation täte gut daran, sich wieder mehr an einer wissenschaftlichen und damit selbstüberprüfenden Kultur der Aufklärung zu orientieren und sich weniger von dem vermeintlich wissenschaftlichen und weitgehend kritikresistenten Populisten Schmidt-Salomon und obskur-braunen Esoterikern dominieren zu lassen.

Meine Aufforderung, sich zur Unterstützung der äußerst fragwürdigen und regressiven Köthener-Veranstaltung zu erklären, wurde von Seiten der GBS leider für unnötig erachtet, sowie auch E-Mails zu früher monierten Events und Aktionen an Herrn Schmidt-Salomon unbeantwortet blieben.

Ob auf solche Weise Aufklärung bei der Giordano Bruno Stiftung immer in die richtige Richtung fährt oder Herrn  Schmidt-Salomon wirklich mehr an Aufklärung als am Verkauf seiner Bücher gelegen ist, wagt man/frau zu bezweifeln.

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4 Antworten zu Aufklärung im Rückwärtsgang

  1. Walter Bornholdt schreibt:

    Da ich von Haus aus kein „Philosoph“ bin – nur Historiker – konnte ich mein Unbehagen beim Lesen der Bücher von MSS nicht wirklich erklären. Das macht dieser Artikel! Auch in punkto Kritik habe ich mir der GBS sehr eigene Erfahrungen gemacht. Mein Hinweis auf die totale Fixierung der GBS auf die EX-MUSLIME als antiiranischen Fanclub wurde im Falle einer Anti-Steinigungspetition abgeschmettert, indem man mir erklärte, dass man sich nicht auf alle Fälle von Menschenrechtsverletzungen (in meinem explizit erwähnten „Fall Saudi-Arabien“) in islamisch dominierten Ländern kümmern könne. Nun ja!

  2. Louis Levy schreibt:

    Jeder Mensch kann Fehler machen. Der Vorteil des aufgeklärten Menschen ist es im Normalfall, dass dieser offen für berechtigte Kritik und dem Argument zugänglich ist, seine Position überdenken und ändern kann. Ist dies nicht der Fall, d.h. verhält er sich dogmatisch, dann gleicht er sich dem religiösen Fundamentalisten an. Eine Organisation, die Aufklärung betreiben möchte, untergräbt sich gerade durch Kritikresistenz und der Annäherung an den eigenen Kritikgegenstand die eigene Basis.

    lg LL

  3. Stefan Wehmeier schreibt:

    „Nur, wo Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, sondern – so lehre ich’s dich – Wille zur Macht!“

    Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra.

    Mit dem Willen zur Macht ist keinesfalls das Beherrschenwollen anderer Menschen gemeint, sondern das Beherrschenwollen der Dinge. Hier liegt der zentrale Denkfehler derer, die die Philosophie Nietzsches nicht verstehen, weil sie entweder das eigene Beherrschtwerden für eine „Tugend“ halten, oder selbst nichts anderes im Sinn haben, als andere zu beherrschen. Gerade dieses Beherrschen und Beherrschtwerden, die Fremdbestimmung, mit der sich alle gegenseitig auf die Füße treten und behindern, muss beendet werden, damit der darum bis heute noch machtlose Mensch zum „von Göttern und Anbetungen erlösten Übermenschen“ wird, der über die wahre Macht, die Beherrschung der Dinge, verfügt.

    Diesem Denkfehler bedient sich die marxistische Propaganda (der ganze Marxismus ist nur Propaganda, d. h. Bauernfängerei, es gibt also keine „marxistische Philosophie“), wenn sie Nietzsche als einen „Vordenker des Nationalsozialismus“ zu diffamieren versucht, so wie Marxisten jede Philosophie als „nationalsozialistisch“ diffamieren, die den Kollektivismus strikt ablehnt. Dass der Nationalsozialismus alles andere als individualistisch ist, spielt keine Rolle, denn für die Diffamierung (etwas anderes haben Marxisten noch nie gekonnt) in einer abergläubischen Gesellschaft muss eine Philosophie nur „in die rechte Ecke gestellt“ werden. Dabei ist schon die Unterscheidung in „politisch links“ und „politisch rechts“ unsinnig, so wie die Politik überhaupt unsinnig ist. In der ganzen „hohen Politik“ geht es ja um nichts anderes als die Machtausübung des Menschen über andere Menschen. Es ist sinnlos, darüber zu streiten, wie die Machtpolitik zu gestalten ist – sie ist abzuschaffen! Aber genau das sucht die Ersatzreligion des Marxismus zu verhindern, die in Wahrheit eine noch primitivere und gewalttätigere Form der Machtausübung über andere Menschen darstellt als jene Religion, die zum „Auszug der Israeliten aus Ägypten“ führte, der Weiterentwicklung der menschlichen Kultur vom Ursozialismus (z. B. vorantikes Ägypten) zur Marktwirtschaft. Der Marxismus ist also nur eine geistige „Rückkehr nach Ägypten“ und der Marxist noch nicht einmal ein „lebendiger Mensch“ (nach der Definition der Genesis), sondern ein „Kamel“:

    Der Wille zur Macht

    • Louis Levy schreibt:

      Sehr geehrter Herr Wehmeier,
      der Kontext Ihres Kommentars mit obigem Blog ist mir unverständlich. Dennoch bitte ich um Verzicht einer weiteren „Konkretisierung“. Auf die in Ihrem Kommentar behaupteten Pauschalisierungen möchte ich nicht weiter eingehen. Möglicherweise sollten Sie Einsteins Satz „Man sollte alles so einfach wie möglich sehen – aber auch nicht einfacher.“ selbst mehr beherzigen und Ihre Glasperlenspiele im eigenen Elfenbeinturm (ggf. wieder mit dem dualen System „Merkel-Sinn“) durchführen. Ich halte weder etwas von Silvio Gesell, dessen Theorie, wie Bierl zeigt, strukturell antisemitisch ist und auf “Manchester-Kapitalismus” und Sozialdarwinismus mit dem Ziel einer Art Rassenhygiene und Menschenzüchtung hinausläuft, noch interessiert mich Ihr Sci-Fi-Idol.

      lg LL

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