Seit Ferienende hängt an allen staatlichen Schulen und Kindergärten Frankreichs eine „Charta der Laizität“ aus, die bereits im Januar 2007 vom Hohen Rat der Integration (HCI) an die französische Regierung übergeben wurde. Auf diese Weise werden die Werte der Republik und das Prinzip der Trennung von Staat und Religion nicht nur ausgehängt, sondern im wörtlichen Sinn „hoch gehängt“. Die Erinnerung war wegen vermehrter Beschwerden von verschieden-religiösen Gruppierungen erforderlich geworden. Probleme traten u.a. bei der Geschichte des Holocaust auf, bei der Behandlung des Nahost-Konflikts, im Fach Biologie, wenn die Evolutionstheorie auf dem Lehrplan stand sowie im Religionsunterricht oder beim Sexualunterricht, besonders wenn Verhütung das Thema war. Erwähnt werden auch Probleme beim Sport – Schwimmen – und, weniger bekannt, wenn es um Kunst, Kulturgeschichte und Filme geht („arts plastiques„).
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Die Charta der Laizität, zur Vermittlung der Grundbegriffe der weltlichen Republik, ist ein Rudiment von Vincent Peillon`s Projekt, das er bereits vor einem Jahr, damals neu auf dem Ministerposten, angekündigte, als er mit der Idee aufhorchen ließ, dass von der Vorschulstufe bis zum Baccalauréat die „laizistische Moral“ unterrichtet werden soll. Im Rahmen eines Festaktes enthüllte der Bildungsminister und Philosoph Peillon nun die 15 Punkte seiner Charta, die inhaltlich nichts Neues enthalten, feierlich, wie ein Denkmal:
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1. Frankreich ist eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik. Sie garantiert die Gleichheit vor dem Gesetz für alle BürgerInnen auf ihrem ganzen Territorium. Sie respektiert jede Welanschauung.
2. Die laizistische Republik trennt Staat und Religionen. Der Staat ist neutral gegenüber den religiösen oder spirituellen Überzeugungen. Es gibt keine Staatsreligion.
3. Die Laizität garantiert die Gewissensfreiheit für alle. Jede/r ist frei zu glauben oder nicht. Die Laizität erlaubt den freien Ausdruck der persönlichen Überzeugungen im Respekt vor anderen und in den Grenzen der öffentlichen Ordnung.
4. Die Laizität erlaubt die Staatsbürgerschaft, welche die Freiheit mit der Gleichheit und Brüderlichkeit vereint im allgemeinen Interesse.
5. Die Republik sichert die Einhaltung ihrer Prinzipien in den Schulen.
6. Die Laizität an den Schulen bietet den SchülerInnen die Voraussetzungen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln, ihrem freien Willen zu folgen und die Staatsbürgerschaft zu erlernen. Sie schützt die SchülerInnen vor jeglichem Bekehrungseifer und vor jeglichen Druck, der sie daran hindern will, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.
7. Die Laizität garantiert den SchülerInnen den Zugang zu einer gemeinsamen Kultur.
8. Die Laizität garantiert den SchülerInnen die Meinungsäusserungsfreiheit in den Schranken des gedeihlichen Funktionierens der Schule, wie dem Respekt der republikanischen Werte und der Vielfalt der Überzeugungen.
9. Die Laizität impliziert die Ablehnung jeglicher Gewalt und Diskriminierung, garantiert die Gleichheit von Mädchen und Knaben und basiert auf einer Kultur des Respekts und des gegenseitigen Verständnisses.
10. Das Personal hat den Auftrag, den SchülerInnen den Sinn und den Wert der Laizität zu vermitteln ebenso wie andere fundamentalen Prinzipien der Republik. Es wacht über deren Einhaltung an der Schule. Es hat die Aufgabe, die Charta auch den Eltern vorzustellen.
11. Das Personal ist zu strikter Neutralität verpflichtet: Es darf die eigenen politischen oder religiösen Überzeugungen im Rahmen ihrer Funktion nicht zum Ausdruck bringen.
12. Der Unterricht ist laizitär. Um den SchülerInnen einen möglichst objektiven Zugang zu der Vielfalt der Ansichten in der Welt und zur Weite und Präzision des Wissen zu öffnen, ist kein Thema a priori von der wissenschaftlichen und pädagogischen Infragestellung ausgeschlossen. Kein Kind kann unter Berufung auf eine religiöse oder politische Überzeugung einer Lehrkraft das Recht bestreiten, ein Thema aus dem Lehrplan zu behandeln.
13. Niemand kann sich auf die religiöse Zugehörigkeit berufen, um sich den Regeln der Schulen der Republik zu entziehen.
14. In den öffentlichen Schulen respektieren die Verhaltensregeln für die verschiedenen Bereiche die Laizität. Das ostentative Tragen von religiösen Zeichen oder Kleidungen ist untersagt.
15. Mit ihrem Nachdenken und ihrem Verhalten tragen die SchülerInnen dazu bei, dass die Laizität an ihrer Schule gelebt werden kann.
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So sollen also, nach Ansicht der Regierung, nicht nur frühzeitig unterschwellige Indoktrinationen und das Erlernen sexistischer Stereotype im Kindergarten vermieden, sondern gleichzeitig in Schulen der Erhalt der freien geistigen und sexuellen Orientierung gewährleistet werden.
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Wie zu erwarten, ist in Deutschland von dieser “Charta der Laizität” recht wenig zu hören und zu lesen, obgleich Frankreich schon häufiger den Vorstoß zur Europäisierung der Charta, auch in Brüssel, gewagt hatte. In Deutschland ist aber Staat und Kirche immer noch so wenig getrennt, dass kein Blatt Papier dazwischen passt. Weiß man doch, dass Kindern in gewollte und traditionelle Richtung gerade im frühen Alter zu indoktrinieren sind und alt verkrustete Strukturen und vermeintlich wahre Traditionen gerade so am einfachsten bewahrt werden können, die unentbehrlich für lebenslange, meist unhinterfragte Treue gegenüber inkonsistenten religiösen Lehren sind. Auch dem deutschen Steuerzahler wird bereits vom Staat die Kirchensteuer, eingeführt durch Adolf Hitler, eingezogen. Dieses Reichskonkordat gilt bis heute. Zudem subventioniert der deutsche Staat die Kirche – mit jährlich ca. 14 (!) Milliarden Euro – aus dem allgemeinen Steuertopf. Statt zu hinterfragen, welche Macht, Privilegien und freien Rechtsräume christliche Kirchen noch immer genießen, sollen auch andere, z.B. muslimische Religionsgemeinschaften immer mehr aufgewertet werden. Welch` enormen Spielraum Kirchenrecht in Deutschland besitzt, wurde besonders erschütternd während des Missbrauchsskandals der katholischen Kirche vor Augen geführt. Religion ist in Deutschland keine Privatangelegenheit. Was haben Geistliche bei einem Staatsakt zu schaffen? Warum wird bei einem Amts- oder Diensteid ein Gottesbezug hergestellt? Bei jeder Vereidigung von MinisterInnen im Bundestag kann man erahnen, welch` unsichtbarer Druck zur religiösen Formel „…so wahr mir Gott helfe“, zwingt. Und gerade dieser Zusatz ist es, der für Atheisten und Agnostiker einen Eid ad absurdum führt. Deutschland ist von einem laizistischen Staat weiter entfernt als Nottuln-Appelhülsen von Auckland. Es beginnt schon mit dem Gottesbezug im ersten Satz der Präambel des Grundgesetzes: „… seiner Verantwortung vor Gott…“!
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Insofern wäre es dringend nötig, auch hierzulande in laizistischer Hinsicht dem französischen Exempel zu folgen und unsere Kinder vor jeder Art von Missionierung und Druck zu schützen. Neutralität in öffentlichen Einrichtungen öffnet nur den Weg zur toleranteren Gesellschaft und wahren Willensfreiheit. Den Menschen muss von klein auf der Zwang genommen werden, stereotype Vorgaben und überholte homophobe Traditionen aus dem eigenen sozialen, gesellschaftlichen oder religiösen Umfeld übernehmen zu müssen. Aber für viele ist die Tatsache schwer begreiflich, dass Religion in der Öffentlichkeit weniger zu suchen hat, als der Hund im Metzgerladen.
Naja.
Man darf nicht vergessen, dass religiöse Menschen naturgemäß die Aussagen ihrer Religion für wahr und gut und richtig halten.
und von der Prämisse aus haben sie natürlich auch recht und ist die These, Religion habe in der Öffentlichtkeit nichts zu suchen, schon arg schwer zu begreifen.
Für mündige, autonome Menschen dürfte es nicht schwer zu begreifen sein. Wobei ich unter autonom jene verstehe, die die Gründe des Handelns nur in sich selbst und nicht in „höheren Mächten“ suchen. Die anderen können die Aussagen ihrer Religion für wahr halten, dennoch gibt es einen Unterschied zwischen Glaube und Wissen. Der religiöse Mensch bewegt sich z.B. auf dem Boden der christlichen Moral wähnend, auf dem Boden der Amoral. Denn: Wenn wir andere fragen müssen was zu tun ist (heteronom) ist moralisch-praktisches Handeln verloren.
lg LL
Schon klar, aber das ändert ja nichts dran, dass jemand nicht gleichzeitig Christ sein und das verstehen kann, weshalb wir eben bei dem Punkt ankommen, dass es in der Natur religiöser Menschen liegt, dass sie nicht einsehen, dass sie ihre Religion nicht für sich behalten, weil sie sie für wahr und richtig halten, so wie ich selbst ja auch nicht einsehe, warum ich Dinge für mich behalten sollte, die wahr und richtig sind und deren Verbreitung die Welt zu einem besseren Ort macht.
Es kann jemand nur gleichzeitig* Christ sein und das verstehen, wenn er über einem bestimmten Widerspruch hinwegsieht. Auch wenn ein Christ seinen Glaube und ein anderer Mensch sein Wissen verbreiten, ist das ein Unterschied. Wissen ist ohne Selbstbezug definierbar und deshalb unabhängig vom erkennenden Subjekt, sozusagen intersubjektiv nachprüfbar! Das ist beim Glaube nicht der Fall!
lg LL
Von Laizitaet traeumen wir hier 🙂 Seit gestern (Sommerferien zu Ende) gilt (inzwischen zum 11. Mal) ein neuer Lehrplan: Wöchentliche Religionsstunden: 6, Englisch 3, Mathematik 5…
Hab dazu ne Frage: Werden auch die vielen Imam-Hatip-Schulen (religiös gepraegt, Jungen und Maedchen im Unterricht getrennt etc) nicht viel bringen, da Schülerinnen und Schüler grundsaetzlich Schule doof finden? Trotzdem haben sie natürlich verdient, nicht indoktriniert zu werden….
Beim Thema Laizität spielt die Türkei freilich in der 3. Liga und nicht nur dort…
Franzose müsste man sein.
Beste Grüße
Lieber hibouh, ich hoffe, Du kannst Dir die Freiräume Deiner Laizität wenigstens in Deiner Privatsphäre schaffen, so dass wenigstens im Privaten Religion weniger zu suchen hat, als der Hund im Metzgerladen!
lg LL